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Mit acht Jahren wusste ich, wie eine Atombombe aussieht. Sie hatte die Form eines Zeppelins, der grau und drohend über unserer kleinen Stadt hing. Zumindest stellte ich mir dieses Ding, von dem meine Mutter Anfang der 1980er-Jahre oft sprach, so vor. Sie war in der Friedensbewegung aktiv, erklärte mir, warum wir gemeinsam auf Großdemonstrationen und zu Menschenketten gingen.

Es waren die Jahre nach dem Nato-Doppelbeschluss, der vorsah, Pershing-II-Raketen mit Atomsprengköpfen in Mitteleuropa zu stationieren. Die Befürchtung nicht nur meiner Mutter war, dass sich der Kalte Krieg in einen Dritten Weltkrieg entzünden könnte, und zwar bei uns, vor unserer Haustür.

Warum sollten wir heute noch Kinder bekommen?

Wie wir alle wissen, ist uns damals keine Atombombe auf den Kopf gefallen. Doch die Angst vor ihr hat sich wieder eingeschlichen, spätestens seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine. Und das, nachdem man schon in den Jahren davor darum ringen musste, den positiven Blick nach vorne nicht zu verlieren, angesichts von Weltuntergangsszenarien als Folge des sich zuspitzenden Klimawandels und einer Pandemie.

Dieses weltweite „Multikrisen-Geschehen“ hat das Sicherheitsempfinden vieler Menschen untergraben und ihre Gewissheiten erschüttert. In welcher Welt werden wir in ­Zukunft leben, fragen sich viele Eltern bang. Und, noch viel wichtiger: In welche Welt werden wir unsere Kinder entlassen?

Mit der Geburt deines Babys, sagt man, wandert dein wundester Punkt aus deinem Inneren nach außen, in diesen kleinen Menschen, den du mit deiner ganzen Kraft vor Üblem schützen willst. Die Zweifel daran, ob man das schafft, können einem zusetzen.

Überhaupt: Soll man noch mehr Kinder in diese unsichere Welt setzen? Laut einer großen internationalen Studie blicken drei Viertel der jungen Menschen zwischen 16 und 25 Jahren mit Ängsten in die Zukunft. Zwei von fünf zögern bei der Familienplanung, weil ihnen der momentane Zustand der Welt zu unsicher erscheint. Und in der Umfrage einer großen deutschen Krankenkasse geben 44 Prozent der Eltern minderjähriger Kinder an, Angst um die Zukunft ihres Nachwuchses zu haben.

Die Psychotherapeutin Belinda Werner-Akila, die in ihrer Ebersberger Praxis Kinder und Jugendliche behandelt, kennt diese Sorgen aus vielen Gesprächen mit Eltern. „Gleichzeitig“, sagt sie, „ist es aber etwas Natürliches, Kinder haben zu wollen. Sie großzuziehen kann auch sehr heilsam sein.“

Wie entsteht Urvertrauen?

Aber zunächst noch einmal einen Schritt zurück: Womit hängt es zusammen, dass manche Menschen generell zuversichtlicher sind und andere weniger? „Zuversicht“, sagt Psychotherapeutin Werner-Akila, „ist im Grunde genommen Urvertrauen – in die Welt, dass sie es gut mit einem meint. Und später auch in sich selbst, dass man sich selbst helfen kann.“

Urvertrauen wiederum entsteht, wenn die Interaktion zwischen Kindern und ihren Bezugspersonen besonders in den ersten Lebensmonaten und -jahren gut funktioniert, also die von den Kleinen geäußerten Bedürfnisse sensibel erspürt und erfüllt werden. Ein simples Beispiel: Das Baby regt sich im Tragetuch und quengelt – der Vater reagiert darauf, indem er mit ihm spricht, es streichelt, vielleicht ein bisschen in den Knien wippt.

Wie lernen Kinder Zuversicht?

„Zuversicht beginnt zu Haus“, schreibt auch die 77-jährige Schriftstellerin Gabriele von Arnim in ihrem Brief-Essay „Liebe Enkel oder Die Kunst der Zuversicht“: „in der Nachbarschaft, in der Wahrnehmung und Teilhabe, Zuversicht beginnt im Kleinen.“ Nähe und Vertrauen innerhalb der Familie seien, so von Arnim, die in ihrem eigenen Leben einige Widrigkeiten überwinden musste, „ein unentbehrliches Fundament, um eigene innere Stärke zu entwickeln und Krisen meistern zu können.“

Der Berliner Psychologe und Buchautor Lukas Klaschinski („Fühl dich ganz“, Knaur Balance), der selbst Vater einer Tochter ist, rät in diesem Zusammenhang, Kindern mehr zuzutrauen: „Natürlich nicht, die Autobahn auf eigene Faust zu überqueren. Aber wenn wir ihnen einen Vertrauensvorschuss geben, lernen sie, was sie schon können – und wo ihre Grenzen sind.“

10 kleine Aktionen, die Zuversicht wachsen lassen

1. Pflanzensamen säen oder ­Blumenzwiebeln setzen und den Pflanzen täglich beim Sprießen, Wachsen und Blühen zuschauen: auf dem Fensterbrett, im Garten oder auch an einer geeigneten Stelle vor dem Haus oder im Park

2. Eine große Standkerze mit bunten Symbolen aus Wachsplatten (aus dem Bastelgeschäft) in eine Friedenskerze verwandeln, die täglich angezündet wird

3. Ein Angst-weg-Spray basteln. Geht ganz einfach: destilliertes Wasser in eine ausrangierte Kosmetik-Sprühflasche füllen und ein paar Tropfen ätherische Öle zugeben (z. B.

4. Zusammen Mutmachbücher anschauen und daraus vorlesen. Zum Beispiel „Die kleine Hummel Bummel“ (Ars Edition), „Das Schaf Charlotte“ (Hanser) oder „Mutig“ (Prestel)

5. Im Park oder im Urlaub am Strand Müll sammeln: Schon zehn Minuten machen einen Unterschied und ein gutes Gefühl!

6. Der alten Dame von nebenan einen noch warmen Kuchen und ein selbst gemaltes Bild vorbeibringen

7. Mit Tieren in Kontakt kommen – etwa im Streichelzoo mit Ziegen schmusen, auf Ponys reiten oder den Nachbarshund ausführen

8. Klamotten und Spielzeug aussortieren und sie gemeinsam zur nächsten Spendenannahmestelle bringen (z. B. bei diakonia oder SOS-Kinderdörfern)

9. Zu Musik herumzappeln und laut singen, zum Beispiel zu den Songs von „Deine Freunde“. Auf Spotify gibt es „Die 30 besten Mutmachlieder für Kinder“

10. Sich abends im Bett gemeinsam Geschichten mit Heldinnen und Helden ausdenken. Kinder sind da erstaunlich kreativ und wissen intuitiv, was ihnen Mut macht

Wie kann man Kindern Vertrauen lehren?

Wie können wir unseren Kindern dieses Fundament bieten, von dem Gabriele von Arnim spricht, wenn wir uns in diesen unruhigen Zeiten manchmal selbst wackelig fühlen oder gar Angst empfinden? Einfach überspielen, die Starken mimen? „Das funktioniert nicht“, weiß Psychotherapeutin Werner-Akila. „Wir können nicht nicht kommunizieren, hat schon der amerikanische Philosoph Paul Watzlawick gesagt. Kinder sehen und spüren sogar das, was wir selbst nicht wahrnehmen und bearbeiten.“

Wenn die Großen dann trotzdem angestrengt grinsen und behaupten, alles sei in bester Ordnung, empfangen Kinder irritierende Doppelbotschaften, die sie beunruhigen, ihr Vertrauen in ihre Bezugspersonen und die Welt erschüttern können.

Was können Erwachsene gegen die eigene Angst tun?

Erst mal ist es laut Werner-Akila wichtig, sich selbst zu „regulieren“: Wenn man als Erwachsener Angst empfindet angesichts bestimmter Nachrichten, ist unsere Verantwortung als Eltern, uns selbst einzufangen und zu beruhigen, bevor wir mit unseren Kindern zu tun haben. Eine wichtige Frage kann dabei lauten: Ist es wirklich die aktuelle Situation, die mich gerade so aus der Fassung bringt? Oder spielen vielleicht auch andere Faktoren hi­nein?

Meine eigene friedensbewegte Mutter zum Beispiel war ein Kriegskind, das in seinen ersten Lebensjahren Flucht und Gewalt erlebt hat. Das Drohszenario in den 1980er-Jahren dürfte also auch alte Traumata in ihr reaktiviert, sie zeitweise in große Angst versetzt haben. Angst, die für mich als Kind deutlich spürbar war und bedrohliche Bilder wie das der Atombombe über der Stadt erzeugt hat.

Doch Angst-Verstärker müssen nicht zwangsläufig in der Vergangenheit liegen. Auch eine hohe innere Anspannung und Stress machen nach Erfahrung der Psychotherapeutin generell ängstlicher, können Katastrophenfantasien in uns anstoßen. Ihr Tipp dagegen wirkt simpel, ist aber wirkungsvoll: „Raus aus dem Hamsterrad, rein ins Hier und Jetzt. Bewusst Zeit mit dem Kind, mit der Familie und Freunden verbringen. Anerkennen, dass die Zukunft zwar ungewiss ist – aber jetzt gerade, in diesem Moment, alles in Ordnung ist.“

Also: weg mit dem Handy. Und spüren, wie schön es ist, zusammen auf einer Bank in der Sonne zu sitzen und Himbeereis zu essen.

Wie sollten Eltern über ihre Ängste sprechen?

Übernimmt man als Erwachsener keine Verantwortung für die eigenen Gefühle, werden die kleinen Menschen sich bemühen, das zu tun, in einem hilflosen Versuch, ihre Welt zu stabilisieren. Aber klar: Niemand hat sich immer im Griff, vielleicht verliert man am Abendbrottisch mal die Fassung, rutscht im Gespräch mit dem Partner in düstere Szenarien ab.

Dann ist es wichtig, das Wahrnehmbare zu validieren, also es zu benennen und einzuordnen – vielleicht zu sagen: „Ich habe vorhin eine schlechte Nachricht gelesen, die mich ein bisschen ängstlich und traurig gemacht hat. Ich bin aber gleich wieder okay.“ So lernen schon die Kleinen, dass negative Gefühle an sich nichts Bedrohliches sind, dass die Intensität von Emotionen nachlässt, egal, wie blöd es gerade ist. Und dass sie trotzdem sicher sind bei ihren Bezugspersonen, weil die sich kümmern.

Das gilt übrigens auch für die kindlichen Gefühle und Ängste. ­Belinda Werner-Akila hält wenig davon, ernste Themen wie den Krieg in Gaza oder den Klimawandel aktiv anzusprechen. Aber wenn man davon ausgehen muss, dass das Kind zum Beispiel im Radio etwas aufgeschnappt hat, vielleicht sogar selbst mit diesbezüglichen Sorgen und Ängsten ankommt, dann ist ihr wichtigster Rat an Eltern: „Reden! Das Kind fragen, wie es ihm damit geht, was es gerade gehört hat. Wenn es darauf nicht reagiert, ist es okay, dann muss man auch nicht weiter bohren, aber in Kontakt bleiben.“ Vielleicht möchte es ein anderes Mal reden.

Wichtig ist, seine Gefühle und Wahrnehmungen anzuerkennen, also wieder: sie zu validieren. Zum Beispiel zu sagen: „Ja, es gibt so etwas Schreckliches wie den Krieg in der Ukraine.“ Wie es dazu gekommen ist, sollte man kindgerecht erklären: dass sich Menschen entschieden haben, ihren Streit mit Gewalt auszutragen, man das nicht gut findet und hofft, dass sie einen Weg erkennen, wie sie miteinander reden können.

Wie kann man selbst aktiv werden?

Und dann? Sollte man gemeinsam ins Tun kommen, anstatt sich von Befürchtungen lähmen zu lassen, Selbstwirksamkeit er- und vorleben. „Action is the antidote to despair“, Handeln ist der Gegenpol zu Verzweiflung, hat die große Sängerin und Bürgerrechtlerin Joan Baez einmal gesagt. „Wir fühlen uns oft hoffnungslos“, ergänzt Psychologe Lukas Klaschinski, „weil kein Mensch alleine das Klima retten, Kriege beenden oder eine Pandemie stoppen kann.

Aber wenn wir oder Menschen um uns herum Unrecht erfahren, können wir aufstehen und sagen: Hey, das sehe ich anders!“ Wenn unsere Kinder erleben, dass wir uns nicht ohnmächtig ergeben, sondern aktiv werden, ermutigt sie das, selbst empathischer und engagierter durch die Welt zu gehen.

Auch das kleine Gute, das man genau dort tut, wo man gerade geht und steht, ist wichtig. „Wenn wir Seite an Seite stehen“, sagt Klaschinski, „wenn viele Leute viele kleine Dinge machen, verändert sich eine ganze Menge. Und das gibt Hoffnung.“

Das Wichtigste in Sachen Zuversicht haben wir übrigens schon getan – wir haben Kinder bekommen. „Damit“, sagt Belinda Werner-Akila, „demonstrieren wir Hoffnung – dass man etwas ändern kann, dass das Leben lebenswert ist.“ Und wir können Menschen großziehen, die jeden Tag an unserem guten Beispiel lernen, wie man friedlich und ressourcenschonend zusammenlebt. Ja: wie man es besser macht.